In linken Kollektiven kommt das Thema Resignation und fehlende Motivation nicht zu selten auf. Im Kontext der bestehenden Herrschft des Kapitals hängt das oft mit einem Gefühl der Machtlosigkeit und zu hohen Ansprüchen an das Kollektiv, aber auch an sich selbst als Individuum zusammen. Wie können wir diese Probleme also kollektiv überwinden? Wie können wir nachhaltig Motivation finden, ohne uns langfristig zu überarbeiten? Die Antwort ist klar: »Positive Disziplin«!

Was ist »Positive Disziplin«?

»Es ist eine Disziplin des Sieges, eine Disziplin der Überwindung. Auf eine Disziplin, die nur davon spricht, was man nicht tun darf, braucht man nicht stolz zu sein. Solz sein kann man auf eine Disziplin, die zu etwas führt, etwas vom Menschen fordert, etwas Größeres als Verzicht. Eine solche Disziplin herrscht in der Kommunistischen Partei. Ein Kommunist muss nach dem Sieg streben und nicht nur danach, auf etwas Ungehöriges verzichten zu können.«¹

Das schreibt der sowjetische Pädagoge Makarenko. Doch seine Aussage ist natürlich recht abstrakt. Wir müssen uns also anschauen, was das konkret für unsere kollektive Politikentwicklung bedeutet. Und zwar insoweit, dass wir uns anhand unserer üblichen Praxis bewusst machen, wie die Art der Disziplin, die wir üben, Einfluss auf unsere Arbeit hat. Denn selbstverständlich ist Disziplin kein Selbstzweck, sondern eingebettet in unsere revolutionäre Aktion.

Disziplin und die Einheit aus Theorie und Praxis

Einheit aus Theorie und Praxis heißt nicht nur, dass jeder praktischen Handlung eine theoretische Annahme vorausgeht, sondern sie bedeutet das philosophische Identischsein von Theorie und Praxis. Demnach kann real revolutionäre Praxis nur stattfinden, wenn das entsprechende inhaltliche Konstrukt besteht. Folglich bedarf es bei jeder Person, die die Politikentwicklung qualifiziert mittragen soll, der entsprechenden Einsicht in die theoretischen Notwendigkeiten. Aber — wie Makaranko sagt — eben nicht in der Form, dass man etwas tun müsse, um die Genoss*innen, die Organisation und schlussendlich das eigene Selbst nicht zu enttäuschen. Die theoretische Notwendigkeit muss in einer Form herrschen, dass alle Personen von dem gemeinsamen Ziel — der Sozialrevolution — überzeugt sind und das wissenschaftliche Verständnis haben, dass der jeweilige Schritt notwendig ist, um zu diesem gemeinsamen Ziel zu kommen. Sofern die Praxis nicht durch diese kollektive inhaltiche Überzeugung getragen wird, folgt falsches Pflichtbewusstsein und langfristig die Überarbeitung der Genoss*innen.

Disziplin und demokratischer Zentralismus

Demokratischer Zentralismus ist nicht eine zufällig gewählte Form der Bürokratie, sondern er ist die historisch-konkrete und notwendige Form der revolutionären Organisation. Einer der vielen Gründe dafür ist die Funktion der demokratischen Zentralismus als wissenschaftlichen Instrument zur Findung der Wahrheit. Grundannahme des Materialismus — und damit des Marxismus — ist das die Prämisse einer einzigen Realität. Wir alle leben in einer objektiven Realität, die sich zwar in der Wahrnehmung unter Subjekten unterscheidet, in ihrem Sein jedoch unabhängig der subjektiven Wahrnehmung ist. Durch die Organisation der Kollektive in Form des demokratischen Zentralismus führt die Diskussion und Beschlusslage also immer zur relativen Wahrheit. Die Frage der Disziplin findet sich jetzt in der Umsetzung dieser Beschlusslage — denn natürlich resultiert aus einer demokratisch-zentralistischen Diskussion immer nur ein Beschluss zu einer Thematik, immerhin gibt es auch nur eine Objektivität dieser Thematik. Folglich kann man bei Widerspruch zu dem Beschluss nicht beginnen eine andere Linie auf eigene Faust umzusetzen. Wie bringt man also einen Beschluss, den man selbst nicht gut findet in Einklang damit, diesen Beschluss trotzdem umzusetzen? Positive Disziplin! Der marxistische Psychologe Holzkampf schreibt dazu:

»Der darin liegende Widerspruch löst sich dann auf, wenn man hier (nach bewährtem Muster) die Objektebene von einer Metaebene der Einsicht unterscheidet. […] Zu einer solchen Metaeinsicht gehört die, daß die Entscheidungen der Organisation auch dann adäquat sein können, wenn sie von der in meiner indiivduellen Sacheinsicht gegründeten Auffassung abweichen.«²

Konkret heißt das: Man setzt diesen Beschluss dann nicht um, weil die Organisation das so sagt, sondern dieser Beschluss wird umgesetzt, weil man die positive Einsicht hat, dass das eigene subjektive Verständnis abweichend von der absoluten Wahrheit ist. Die kollektiv ermittelte relative Wahrheit aus der demokratisch-zentralistischen Diskussion ist dieser absoluten Wahrheit entsprechend deutlich näher, als es die eigene subjektive Wahrnehmung ist. In dem gemeinsamen Ziel — der Sozialrevolution — besteht also das notwendige Verständis, dass ein Beschluss dem Allgemeininteresse dienen kann, obwohl es scheint (!), als würde er dem eigenen Interesse widersprechen. Die positive Disziplin, solchen Beschlussen trotzdem zu folgen, ist schlichtweg notwendig, um als revolutionäre Organisation agieren zu können. Es braucht also die Überzeugung, die Revolution — den Sieg über Ausbeutung — erreichen zu können, um sie tatsächlich zu erreichen.

Was heißt das für uns — individuell?

Positive Disziplin zu haben heißt, überzeugt zu sein und überzeugt zu agieren. Zugegeben stellen revolutionäre Kollektive in der aktuellen Zeit nicht wenige Ansprüche an die Mitglieder des Kollektivs — in ihrem historischen Zustand durchaus nachvollziehbar. Wir müssen jedoch von dem Verständnis wegkommen, dass revolutionär tätig sein heißt, die gesamte eigene phsyische und psychische Kapazität für den Klassenkampf aufzubringen — so verlockend es auch sein mag. Wir müssen lernen, konkret zu analysieren, wo Kapazitäten gut einzubringen sind. Wir müssen lernen, weiter zu diskutieren, wenn wir nicht überzeugt sind. Wir müssen lernen, von unserem gemeinsamen Ziel überzeugt zusein. Wir müssen lernen, revolutionär zu agieren — wir müssen lernen, revolutionär zu sein!