Die Bezeichnung »Faschismus« wird insbesondere in der Linkspartei und anderen linksliberalen Kreisen häufig im Kontext der AfD herumgeworfen. Das wirft viele Fragen auf: Was ist Faschismus überhaupt? Ist die AfD tatsächlich faschistisch? Wie funktioniert Faschismus? Diesen drei Fragen werden wir im Folgenden versuchen, auf den Grund zu gehen.
Was ist Faschismus?
Historisch gab es viele Versuche, den Faschismus zu definieren. Paxton, Reich, Trotzki – um nur einige der dafür relevanten Personen zu nennen. Eine Definition hat sich im Bereich der marxistisch-leninistischen Bewegungen aber weiter durchgesetzt als alle anderen: Die »Dimitroff-These«. Diese haben wir bereits in unserem Artikel zu antifaschistischen Taktiken genauer ausgeführt. Die von der Kommunistischen Internationale beschlossene These führt aus, dass Faschismus die »terroristische Diktatur der am meisten reaktionären, chauvinistischen und imperialistischen Elemente des Finanzkapitals« ist. Lasst uns diese abstrakte Definition mit konkreterer Bedeutung füllen, als wir es im Kontext des Antifaschismus getan haben:
Eine »terroristische Diktatur« ist es, weil der Faschismus dann vom Kapital zur Hilfe gebeten wird, wenn die freiwillige Integration der Arbeiterklasse keine Wirksamkeit mehr zeigt. Wenn sich die Krisen so zuspitzen, dass die Lebensrealität der Arbeiter*innen so sinken, dass sie mehr und mehr Klassenbewusstsein bilden, werden sie sich nicht mehr freiwillig in die kapitalistische Demokratie einordnen, sondern feststellen, dass ihre objektiven Interessen von dieser nicht vertreten werden. Entsprechend bedarf es einer terroristischen Diktatur, um diesen Widerstand gegen die herrschende Klasse zu unterbinden. Durch stärkere Repressionen werden Massenorganisationen zerschlagen – man nehme die Zerschlagung der Gewerkschaften am 2. Mai 1933 als eines der vielen Beispiele – und die Verknüpfung innerhalb der Arbeiterklasse unterbunden. Denn wie Lenin schon feststelle, ist Organisation die Waffe der Arbeiterklasse. Können Arbeiter*innen also nicht mehr durch Bewusstseinsfalsifikation, das heißt Lügen, freiwillig in das System integriert werden, bleibt als einzige Option der Herrschaftssicherung die Desintegration der Arbeiter*innen in Form von Repressionen.
»Reaktionär« sind die Elemente, die das Fundament des Faschismus legen, weil sie – naheliegenderweise – die Herrschaft des Kapitals nicht nur absichern, sondern sogar verstärken. Es gibt keine Zugeständnisse mehr gegenüber den Arbeiter*innen, die noch so kleinsten Rechte der Arbeiterklasse werden zurückgebaut und jegliche Form des Widerstandes wird militärisch beendet. Entsprechend ist der Faschismus die härteste Form der Konterrevolution.
»Chauvinistisch« ist die Basis des Faschismus, weil so eine Teilung der Arbeiterklasse vorgenommen wird. Propaganda und Indoktrination dämonisieren Teile der Gesellschaft, um die Hauptfeindfrage der Arbeiterklasse in die Irre zu führen. Werden Arbeiter*innen davon überzeugt – sei es friedlich oder gewaltsam –, dass beispielsweise Jüd*innen die Ursache der Probleme sein, verlieren die Arbeiter*innen ihr Klassenbewusstsein stückweise und versagen den Kapitalisten als ihren eigentlichen Feind auszumachen. Durch das Verbot progressiver Organisationen kann dieser in die Klasse gejagter Keil selten ausgemacht und erst recht nicht massenträchtig aufgeklärt und eingeordnet werden. Egal in welcher Form der Chauvinismus also auftreten mag, ist auch er nichts weiter als ein Mittel zur Herrschaftssicherung der Kapitalisten gegen die proletarische Revolution.
»Imperialistisch« ist der Faschismus im Vergleich zur auch imperialistischen parlamentarischen Demokratie deutlich aggressiver. Durch die fehlende freiwillige Integration der Arbeiter*innen müssen Kriege nicht mehr gerechtfertigt werden, da Widerstand ohnehin unterdrückt wird – sie werden war teilweise beschönigt, aber sie brauchen in der Theorie keine Legitimation in der Masse. Das gibt den Kapitalisten die Gelegenheit durch den Krieg Privatisierung und Monopolisierung zu forcieren. Dadurch kann internationale Konkurrenz ausgeschaltet, also das Monopol verstärkt werden. Außerdem kann die eigene Produktion gestärkt werden. Polnische, sowjetische, jüdische und alle anderen Zwangsarbeiter*innen sind nun mal günstiger gewesen als die deutschen Arbeiter*innen beziehungsweise zum Teil gab es auch einfach keine Arbeitskraft in Deutschland mehr. Zudem kommt das Forcieren von Absatzmärkten. All das passiert auch unter der parlamentarischen Demokratie, nur muss eben ideologisch gerechtfertigt werden und kann demnach nicht in einem solch umfangreichen Maße geschehen, wie unter dem Faschismus.
Herrschaftsinhalt & -form
Der Faschismus ist also eine Herrschaftsform, das heißt er definiert die Art und Weise der ausgeübten Herrschaft. Wie Dimitroff richtigerweise anführt, kommen diese aber eben ausgeführten Kernelemente aber nicht aus irgendeiner abstrakten politischen Bewegung, sondern aus dem »Finanzkapital«. Das heißt der Herrschaftsinhalt bleibt gleich: Der Faschismus ist nicht nur zufällig eine kapitalistische Gesellschaft, sondern er versucht gezielt, die kapitalistischen Produktionsverhältnisse abzusichern. So weit hergeholt wie sich der Gedanke im ersten Moment anhören mag, ist der Herrschaftsinhalt der NSDAP also der exakt gleiche wie der Herrschaftsinhalt der SPD. Beide sind Stiefellecker des Kapitals und versuchen seine Herrschaft zu sichern – nur eben auf unterschiedliche Arten, das heißt mit unterschiedlichen Herrschaftsformen. Diese Differenzierung ist von großer Bedeutung, um bürgerlichen »Antifaschismus«, tatsächlich revolutionären Antifaschismus, aber eben auch unsere Frage nach dem Charakter der AfD zu verstehen.
Die »Alternative für Deutschland«
In den letzten Jahren haben durch Krisen aller Art viele Menschen das Vertrauen, das heißt die freiwillige Integration, gegenüber der bürgerlichen Demokratie zum Teil oder gänzlich verloren. Das ist im ersten Moment natürlich eine große Gefahr für die herrschende Klasse. Wer ihren Staatsapparat anfechtet, fechtet mittelbar auch ihre Herrschaft an – unabhängig davon, ob die »Systemkritischen« tatsächlich revolutionäre Ziele verfolgen. Diese Menschen müssen wieder eingefangen – integriert – werden. Hier kommt die AfD ins Spiel: Ihre Forderungen wirken im ersten Moment völlig anders als die der etablierten Parlamentarier*innen. Sie wirken radikal und gar revolutionär gegenüber dem »Establishment«. Empirisch sieht man das daran, dass der Anteil der Angestellten (natürlich ist das nur ein Teil der Arbeiterklasse, jedoch repräsentativ), die SPD und CDU wählen seit 2013 stetig fällt, während der Anteil der Stimmen, die die AfD auf sich vereinigt von 3% (2013) auf 38% (2025) gestiegen ist. Die Wähler*innen der AfD haben in der Krise also die richtige Erkenntnis gehabt. Das bürgerliche System repräsentiert nicht ihre tatsächlichen Interessen. In Krisen erhalten Banken und Unternehmen Milliardensubventionen, während Arbeiter*innen verarmen. Die richtige Erkenntnis hat sie aber zur falschen Schlussfolgerung geführt: Die AfD. Dass die AfD aber eine bürgerliche und keine proletarisch-revolutionäre Partei ist, steht ohne den noch so geringsten Zweifel fest. Die AfD schafft es also die eigentlich davon Abgesprungen doch wieder in das parlamentarische System zu intergieren. Ihre Herrschaftsform ist also keine faschistische – denn das Kapital braucht gerade keine terroristischen Repressionen zum Wiedereingliedern dieser Abgesprungenen, da diese Aufgabe ja friedlich und integrativ durch die AfD geschieht. Qualitativ unterschiedet sich die AfD also weder in Herrschaftsinhalt (der kapitalistischen Produktion), noch in Herrschaftsform (der friedlich-bürgerlichen Demokratie mit den Mitteln der freiwilligen Integration) von den anderen bürgerlichen Parteien wie CDU, SPD oder DIE LINKE.
Die AfD also als »faschistisch« zu bezeichnen wäre ein grobfahrlässiger Fehler. Durch diese Bezeichnung wird davon abgelenkt, dass die anderen Parteien in keiner Art und Weise unterschiedlichen Herrschaftsinhalt haben. Die AfD als »faschistisch« zu bezeichnen, impliziert also, dass die anderen Parteien »weniger schlimm« oder »ungefährlicher« wären – beides ist aber, wie wir gesehen haben, nicht der Fall. DIE LINKE, SPD, B’90/DIE GRÜNEN, CDU, CSU, FDP und auch die AfD haben den exakt identischen Herrschaftsinhalt und die identische Herrschaftsform. Die AfD mag zwar Forderungen wie Privatisierungen und ähnlichem in einem anderen Maße fordern, wie wir alle als treue Dialektiker*innen aber wissen, ist der qualitative Unterschied das Entscheidende in der Definition – nicht der quantitative. Einen qualitativen Unterschied weist die AfD aber auf, der dem Kapital in Zukunft von großem Nutzen sein kann: Die AfD hat Potential für eine faschistische Sammelbewegung. Was heißt das?
Sammelbewegungen und die Mitte-Rechts-Eskalation
Die AfD wäre als einzige etablierte Partei in der Lage, sich in eine faschistische Bewegung zu wandeln, sofern der Nutzen für das Kapital bestünde. Denn vermutlich die Basis keiner anderen Partei würde eine solche Entwicklung mittragen. Folglich ist die AfD im Thema Faschismus also doch gesondert zu betrachten. Dazu müssen wir eine Dynamik verstehen, die als »Mitte-Rechts-Eskalation« bezeichnet wird:
Wie wir geklärt haben, entstehen durch die zyklischen Krisen des Kapitalismus Zweifel an der parlamentarischen Herrschaftsform. Diese werden dann durch die schein-alternative Politik der AfD absorbiert und die Personen wieder integriert. Das heißt aber nur, dass die Personen davon abgehalten werden, das kapitalistische System zu hinterfragen – die etablierten Parteien bleiben aber Ziel der Kritik. Die AfD schafft es, die potenzielle Kritik am System auf die Kritik am »politmedialen Komplex«, also am abstrakten »Establishment«, umzulenken. Die Menschen werden also davon überzeugt, dass ihre Lebensrealität unter der Politik der regierenden Parteien leidet und nicht unter dem System per se. Das führt dazu, dass diese Menschen sich außerparlamentarisch engagieren und rechtere Politik fordern – in der Hoffnung, dass es ihnen dadurch besser geht. Die anderen Parteien werden in ihrem Versuch alle zu integrieren diesen Forderungen (in Form von Lippenbekenntnissen) nachkommen und selbst immer weiter nach rechts driften – diese Rechtsentwicklung sieht man an CDU und SPD, am meisten aber an der Linkspartei und den GRÜNE, die von einer Friedenspartei hin zur imperialistischen Marionette mutiert sind. Durch diese Entwicklung wird aber irgendwann die AfD in die Regierungsverantwortung kommen. Sofern das passiert, wird mit der versprochenen Politik, die das Leben der Arbeiterklasse verbessern soll, zwei Dinge passieren.
Erstens wird ein großer Teil der versprochenen Politik nicht umgesetzt werden. Ganz einfach deshalb, weil er keine Profite generiert. In der imperialistischen Konkurrenz kann das Kapital sich nicht leisten, billige Arbeitskräfte abzuschieben oder Frieden mit Russland zu verhandeln.
Zweitens werden die Handvoll Forderungen, die im Einklang mit der kapitalistischen Profitlogik umgesetzt werden, kann das Leben der Wähler*innen in einer Art und Weise verbessern, sondern den Widerspruch zwischen Kapital und Arbeit sogar weiter verschärfen.
Diese beiden Entwicklungen führend dazu, dass das gleiche, was mit den ursprünglich etablierten Parteien zuvor passiert ist, jetzt mit der AfD passiert. Die Arbeiterklasse verliert wieder das Vertrauen in die parlamentarische Demokratie. Die AfD verliert also ihre integrative Kraft – sie kann die Menschen nicht mehr freiwillig integrieren. Entweder bildet sich also eine neue Kraft der Integration heraus – eine neue Partei gründet sich (potenziell die angekündigte Partei von Frauke Petry, die vermutlich eine AfD-ähnliche Integration durchführen würde) oder eine alte Partei übernimmt wieder die Aufgabe der Integration (wie es die LINKE teilweise bei insbesondere Jugendlichen aktuell schafft). Sollten beide diese Optionen aber versagen, sollte die freiwillige Integration in das System nicht gelingen, bedarf es der unfreiwilligen Systemtreue, der ungehemmten Repression – es Bedarf des Faschismus. Hier kommt das besagte Potential der AfD als faschistische Sammelbewegung wieder ins Spiel. Ein nicht unwahrscheinliches Szenario wäre, dass die AfD nach dem Versagen ihrer Politik zur Verbesserung der Lebensrealität der Arbeiter*innen schafft, das Versagen weg von der Profitlogik hin zur parlamentarischen Demokratie zu lenken. Ganz im Sinne von »ohne die demokratischen Beschränkungen, hätten wir ja unsere WIRKLICHE Politik umsetzen können«. Es ist sehr wohl denkbar, dass die Basis der AfD eine solche Entwicklung geschlossen mittragen würde.
Kommt jetzt also der Faschismus?
Die beschriebenen Kausalitäten sind im ersten Moment schematisch abstrahiert. Das Fazit der Mitte-Rechts-Eskalation ist es nicht, dass 2029 eine AfD-Regierung unmittelbar im Vierten Reich endet. Fakt ist, dass Entwicklung der Weimarer Republik recht direkt mit der Theorie der Mitte-Rechts-Eskalation beschrieben werden können. Aber natürlich ist offen, ob sich eine neue integrative Kraft herausstellt, wie lange das Versagen der AfD dauert oder was konkret das Resultat daraus ist. Die AfD jetzt doch schon als »faschistische Kraft« zu betiteln, wie es nicht nur linksliberale, sondern auch autonome Kräfte oder auch die MLPD tun, wird der Komplexität des Faschismus und der Komplexität der Integrationsmechaniken wohl kaum gerecht. Natürlich darf auch der Kampf gegen die AfD jetzt deshalb nicht aufgegeben werden. Wir dürfen uns deshalb nicht in einer scholastischen Diskussion über Begriffe verfangen, die unsere Politikentwicklung schwächt, hemmt oder sogar lähmt. Der antifaschistische Kampf ist auch ein Kampf gegen insbesondere die AfD – gerade wegen ihres faschistischen Potentials. Aber antifaschistischer Kampf darf sich eben nicht auf die AfD beschränken. Antifaschismus heißt auch Sozialkürzungen, Militarisierung und dem Kapitalismus den Kampf anzusagen.